Buch der Erinnerung
In Erinnerung an Jan Jürgen Jenrich ...
Komm, goldner Tag und schließ mit Deiner Sonne zuletzt mir noch die beiden Augen zu.
Name: | Jenrich, Jan Jürgen |
Geburtsort: | Frankfurt/Main |
Geboren am: | 19.12.1959 |
Gestorben am: | 05.07.2012 |
Gestorben in: | Klagenfurt/Österreich |
13.08.2012
Die ersten Tage ohne JanÜberall in uns und um uns ist Jan und die Lücke, die er hinterlässt, ist so groß, dass einem die Beklemmung in die Brust steigt und die Machtlosigkeit im Angesicht der unendlichen Leere in uns, um uns. In meinen Gedanken sitzt Jan immer noch auf dem Sofa, erzählt etwas, lacht sein schallendes lautes Lachen, ist da.
Jan sitzt mit uns am Tisch und isst ??Hmm, Weight Watchers!?, als Teil der Familie mit uns zu Abend. Jan ist bei den Kindern im Kinderzimmer und die Eltern sind wieder einmal abgeschrieben.
Jan vergisst dies und das und ist manchmal etwas unpraktisch, aber man kann auf Jan nie böse sein. Die Kinder trinken auch am Abend Nachmittagskakao und jede Woche kommt ein neu aufgerissenes Nudelpaket zu den bereits vorhandenen der letzten Wochen hinzu.
Jan macht Quatsch mit Jonathan, der ihn anhimmelt, gerade angefangen hat, als eines seiner ersten Wörter ?Nan? zu sagen.
Für Leonhard ist Jans Anwesenheit in seinem Leben so selbstverständlich wie die seiner Eltern, er kennt es nicht anders. ?Mein Jan holt mich heute ab!? verkündete er oftmals stolz und freudig an seinem ?Jan-Tag? in der Kita.
Vielleicht war es eine Vorausahnung, dass Jan in den letzten Monaten im Rahmen unserer vorübergehenden Umsiedlung in eine Wohnung auf Zeit auch noch mal einen Ausflug in die eigene Vergangenheit unternommen hat, der ihn in die Fürbringer Straße 32 führte, wo vor fast 30 Jahren seine Berliner Zeit begann. In diesem Haus ging er nun für zwei Monate wieder ein und aus. Oft haben wir den Geschichten zugehört, z.B. wie ein Freund das Haus unter Wasser gesetzt hatte. Heute lebt wohl keiner mehr aus der ehemaligen WG, jetzt, wo auch Jan gegangen ist.
Die letzten Monate ist Jan beschwingt, euphorisch. Endlich kann er machen, was er schon lange machen wollte, endlich, - so scheint es -, lässt man ihn sein, wie er ist. Eine kleine Erbschaft soll ihm den Rücken freihalten, seinen Ruf als Lektor zu verfestigen, dem ewigen Druck vom Amt eine Zeitlang zu entrinnen.
Wir haben schon Angst, dass er eines Tages so berühmt wird, dass er sich mit unserer kleinen Familie nicht mehr abgibt, - so sagen wir aus Quatsch. Denn ganz sicher wissen wir, Jan gehört zu uns, ist Teil unserer Familie, hat uns in sein Herz gelassen, mit seinem Wesen vereinnahmt, mit seinem spröden Charme und seiner authentischen Art.
Jetzt ist Jan nicht mehr da und man kann geteilter Meinung sein, ob es ein guter Zeitpunkt war, zu gehen, wenn der Optimismus und das Glück am größten sind oder ob das Leben ungerecht ist, weil es ihm noch so viel länger zu gönnen gewesen wäre, optimistisch und glücklich zu sein, ob der Tod diejenigen vorzeitig ereilt, die diese Welt soviel schöner und menschlicher machen.
Mit unseren Kindern hat Jan die Welt aus Kinderaugen betrachtet, jeden kleinen Entwicklungsschritt mit Begeisterung verfolgt, wo uns oft gar nichts aufgefallen ist, uns den Spiegel vorgehalten, wie wunderbar das Leben mit Kindern ist.
Wir hätten uns so gewünscht, dass Jan unseren Kindern und uns die Welt weiter erklärt auf seine ihm eigene Art und Weise, ihnen und uns seine Sichtweise der Dinge nahe bringt, die Komplexität des Lebens entzerrt, auch weiter Dinge in Worte fasst, die man nicht in Worte fassen kann.
Im Treppenhaus höre ich Jans schallendes Lachen, die Kinder winken hinterher, er ruft im Gehen ?bis nächste Woche!?.
Und in unseren Herzen wird Jan da sein, seinen Platz an unserem Tisch einnehmen und sein Lachen weiter lachen.
Jan fehlt.
Jan ist nicht mehr da. Aber überall, wo wir sind, ist Jan.
(entstanden am 10.+11.07.12)
Lieber Jan, wir vermissen Dich so sehr, daß der Schmerz kaum zu ertragen ist. Aber in unseren Herzen wirst Du immer da sein. Wir danken Dir für die gemeinsame Zeit, die wir mit Dir in dieser Welt verbringen durften. Deine "zweite" Familie:
Corinna & Schlamper mit Leonhard & Jonathan
Trauerrede
Trauerrede für Jan-Jürgen Jenricham 11. August 2012 Ruheberg/ Oberried
Musik Violine und Saxophon
?Komm, goldner Tag und
schließ mit Deiner Sonne
zuletzt mir noch die beiden
Augen zu...?.
Ingeborg Bachmann
Liebe Familien Jenrich, mit diesen Worten der Dichterin Ingeborg Bachmann begrüße ich Sie und alle, die gekommen sind von Jan-Jürgen Jenrich Abschied zu nehmen.
Es war das Motto der Ingeborg-Bachmann Tage ?Komm, goldner Tag??. Jan begleitete die Autorin, mit deren Text er sich als Lektor lange beschäftigt, den er gewissermaßen mitgeschrieben hat, zum Literaturwettbewerb. Der Bachmann-Preis, die Veranstaltung in Klagenfurt, hatten für ihn einen riesigen Stellenwert. Kompromisslos hat er sich im Vorfeld engagiert. Ob es jemand hören wollte oder nicht, ?Der Bachmann-Preis..., Klagenfurt?? Er hatte ein Volontariat im Verbrecher-Verlag gemacht. Dort ist er richtig aufgeblüht. Einen langen Weg hatte er hinter sich. Ganz am Anfang studierte er Medizin, wechselte zur Psychologie, studierte in Berlin schließlich Germanistik und Philosophie. Er lebte dort als Schwuler in den bewegten 80er und 90er Jahren, in denen Aids und das Sterben an Aids allgegenwärtig waren. In der Fürbringer Straße 32, begann vor fast 30 Jahren seine Berliner Zeit.
Seine Freundin Corinna hat ihre Gedanken und Gefühle nach seinem Tod aufgeschrieben. ?Vielleicht war es eine Vorausahnung, dass Jan in den letzten Monaten (?) noch mal einen Ausflug in die eigene Vergangenheit unternommen hat. (?) In diesem Haus ging er nun für zwei Monate wieder ein und aus. Oft haben wir den Geschichten zugehört, z.B. wie ein Freund das Haus unter Wasser gesetzt hatte. Heute lebt wohl keiner mehr aus der ehemaligen WG, jetzt, wo auch Jan gegangen ist.? Jan war angekommen in einer Arbeit, die ihm Freude machte, in der er seine Begeisterung für Literatur leben konnte. Seine Leidenschaft wollte er zum Beruf machen und freiberuflich als selbständiger Lektor arbei?ten. Die Weichen waren gestellt. Corinna schreibt: ?Die letzten Monate ist Jan beschwingt, euphorisch. Endlich kann er machen, was er schon lange machen wollte, endlich, - so scheint es -, lässt man ihn sein, wie er ist. Eine kleine Erbschaft soll ihm den Rücken frei?halten, seinen Ruf als Lektor zu verfestigen, dem ewigen Druck vom Amt eine Zeitlang zu entrinnen.?
Die Nominierung von Lisa Kränzler, war auch sein Erfolg. Diesen Erfolg hat er noch erlebt. Den ?goldnen Tag?, die Prämierung und die Preisverleihung konnte er nicht mehr erleben. Er starb in der Nacht vor der Lesung. Dennoch war es auch sein ?goldner Tag?, der mit seiner Sonne er ihm zuletzt noch die beiden Augen schloss. Vielleicht kann man das Lächeln in seinem Gesicht nachdem er gestorben war so deuten. Am 5. Juli ist er gestor?ben. Inzwischen sind bereits mehr als ein Monat vergangen, 37 Tage. 37 Tage ohne ihn. Heute setzen wir die Urne, die die Asche seines Körpers enthält hier an diesem wunder?vollen Ort bei.
Es ist kaum vorstellbar, dass sie den Menschen umfasst, den Sie liebten, mit dem Sie lachten, über den Sie manchmal den Kopf schüttelten, mit dem Sie alle verbunden sind. Gleichzeitig ist klar: wir können nur das Körperliche begraben. Das was ihn ausgemacht, sein Wesen, seine Bedeutung für jeden einzelnen von Ihnen, das können wir nicht begra?ben. Das bleibt, solange es auch nur eine Person gibt, die sich an ihn erinnert.
Musik Violine und Saxophon
An einem Tag wie heute kommen einem viele Erinnerungen. Das Erinnern ist der Schritt, sein einzigartiges Leben zu bewahren. Geboren in Frankfurt ? 1959 - wuchs Jan in Friedrichshafen, Singen, Bad Dürrheim und Donaueschingen auf, in dem Dreiklang von Jan, Jörg und Jens, besser noch Jan-Jürgen, Jörg-Jochen und Jens-Jörn. Er hat sich schon früh von Zuhause losgelöst. Freiburg, das bedeutete Freiheit, Ausbruch aus dem bürgerlichen, engen Donaueschingen, wie Sie es als junge Menschen damals empfunden haben. Er hat dem jüngeren Bruder die Freiburger Kneipen gezeigt, ihn eingeführt in das städtische Leben. Drei Nichten und Neffen führen die ?J?-Tradition fort: Jannis, Jule und Joris. Andere Traditionen haben ihn ebenfalls geprägt. Das humanistische Domgymna?sium, das Christentum vermittelt durch die ellenlangen Luther-Zitate des Vaters. Sein Vater war Redakteur, er kannte den journalistischen Alltag. Und sicher hat ihn auch die Geschichte seines Vaters geprägt, der den Krieg erlebt und erlitten hat. Dessen erste Ehe in die Brüche gegangen war und zu der drei ältere Geschwister gehören, zu denen aller?dings nur wenig Kontakt bestand. Freiburg wurde ihm bald auch zu eng. Berlin war sein Ziel.
Schon früher hat er sich sein Studium mit Kinderhüten verdient. Karl-Phillip ? Phili ? studiert mittlerweise. Seit einigen Jahren hat er Leo begleitet. ?Für Leonhard ist Jans Anwesenheit in seinem Leben so selbstverständlich wie die seiner Eltern.? Mit den Kindern hat Jan die Welt aus Kinderaugen betrachtet, jeden kleinen Entwicklungsschritt mit Begeisterung verfolgt. Er hatte seine eigene Art und Weise, seine Sichtweise der Dinge nahe zu bringen. Er konnte die Komplexität des Lebens entzerren. Hat Dinge in Worte gefasst, die man nicht in Worte fassen kann. (Corinna)
Worte, überhaupt waren die seine Leidenschaft. Er konnte gut auf Menschen eingehen, motivieren und begeistern. Den Freunden hat er bei den Magisterarbeiten geholfen. In Diskussionen war er ein harter Kämpfer um seine Position. Darin wer er kompromisslos, aber nie nachtragend. Nie waren die Gespräche oberflächlichen. Sie haben viel gelacht miteinander, er mit seinem manchmal zynischen Humor hat menschliches Verhalten beobachtet. Die Bücher stapelten sich bei ihm bis zur Decke, seine Küche beherbergte kaum etwas zum Essen, eher einige Packungen Kaffee.
Mit den Lebenspraktischen Dingen hatte er es nicht so. Aber so war er halt. Eine Episode davon erzählt seine Freundin: ?Jan vergisst dies und das und ist manchmal etwas unprak-tisch, aber man kann auf Jan nie böse sein. Die Kinder trinken auch am Abend Nachmit-tagskakao und jede Woche kommt ein neu aufgerissenes Nudelpaket zu den bereits vor-handenen der letzten Wochen hinzu.?
Die Kraft der Worte. Jan hat sie entdeckt, er hat sie geliebt. Seine Magisterarbeit hat er über den Autor Arno Schmidt geschrieben. Einer mit eigenem Sprachstil, der sich am Expressionismus orientiert. ?Das musst du unbedingt lesen? ? so hat er seine und später andere Bücher angepriesen. Man kann man sich für Arno Schmidt begeistern oder auch nicht.
Er finde den Gedanken an den Tod tröstlicher als den an ein ewiges Leben, sagt der Ich-Erzähler in einer seiner Geschichten (Arno Schmidt: Nachbarin, Tod und Solidus) Damit stimmte Jan eher überein als mit der überbordenden christlichen Vorstellungswelt. Dennoch ? die dichterische Sprache ist voll von offenen Räumen, in die sich der Geist erheben kann.
ich, der stolze
Knecht des
Alltäglichen
die Welt köstlich,
frisch und ?Wie hand=
geschöpft?, würd? ich sa=
gen?
(Arno Schmidt)
Im April starb seine Mutter mit 85 Jahren, er selbst ist gerade mal 52 geworden. Was bedeutet die Zahl der Jahre? Wenn das Leben nicht gelebt wird. Jan hat immer intensiv gelebt. Jan ist uns allen mit seinem Sterben nur einen Schritt voraus. Wenn er in Freiburg, sind Sie immer zusammen in den Schwarzwald Richtung Schauinsland gefahren. Im Frühjahr, beim Tod der Mutter hat er geäußert, es sei eine tolle Vorstellung, hier begraben zu sein. Enge Friedhofsmauern, das wäre nichts für Jan gewesen.
Ich lade Sie mit weiteren Versen von Arno Schmidt ein, hier in der Natur das Leben und das Sterben zu meditieren.
?jetzt ist die Zeit voll itzt zu sein?
?und Bäume schütteln den Morgen ab?
?am Himmel Windweben?
Tiroh! ein Vogel fliegt: ?Sieh nach oben!?
?komm, ermensche
Dich?
(alle aus dem ?Zettelarchiv? Arno Schmidt)
Hier in der Natur ist es offensichtlich. Der Tod kommt, doch dem Leben ist kein Ende gesetzt. ?Jetzt ist Jan nicht mehr da und man kann geteilter Meinung sein, ob es ein guter Zeitpunkt war, zu gehen, wenn der Optimismus und das Glück am größten sind oder ob das Leben ungerecht ist, weil es ihm noch so viel länger zu gönnen gewesen wäre, opti?mistisch und glücklich zu sein, ob der Tod diejenigen vorzeitig ereilt, die diese Welt soviel schöner und menschlicher machen.
Im Treppenhaus hörte ich Jans schallendes Lachen, die Kinder winken hinterher, er ruft im Gehen ?bis nächste Woche!?. Und in unseren Herzen wird Jan da sein, seinen Platz an unserem Tisch einnehmen und sein Lachen weiter lachen. Jan fehlt. Jan ist nicht mehr da. Aber überall, wo wir sind, ist Jan.? (Corinna)
Ein weiterer Vers von Ingeborg Bachmann schlägt den Bogen zum Beginn:
?Der Tod wird kommen und kein Ende setzen?
Der Tod ist zu Jan gekommen. Der Tod ist zu Ihnen gekommen und hat Jan mitgenom?men. Er setzt ein Ende. Jan ist als Lebender nicht mehr bei Ihnen. Doch es ist nicht zu Ende. Bachmann fährt fort ? und diese Worte sollen am Ende stehen:
?Der Tod wird kommen und kein Ende setzen. Denn weil das Gedächtnis der Menschen nicht reicht, ist das Gedächtnis der Familie (und der Freunde) da, eng und beschränkt, aber ein wenig länger.?
(Gedichte und Erzählungen, ausgewählt von Helmut Koopmann, Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main 1978, S. 272.)
Gebet
Wir geben das Leben und das Sterben von Jan-Jürgen Jenrich in die Hände Gottes, in die Hände, der Kraft, die uns ins Leben bringt und die uns im Leben hält ? und bitten:
Gebet
Heile seinen Geist, von allen Wunden, die sein Herz in diesem Leben der Begrenzungen erlitten hat.
Reinige sein Herz mit deinem göttlichen Licht und sende auf seinen Geist Deine Gnade, Deine Barmherzigkeit und Deinen Frieden.
Öffne unser Herz, auf das wir Deine Stimme vernehmen,
die ständig in unserem Innern erklingt.
Enthülle uns Dein Licht, verborgen in unserer Seele, damit wir das Leben besser erkennen und verstehen.
Gandenreicher und barmherziger Gott,
lehre uns Dein liebevolles Verzeihen:
hebe uns über die Unterschiede und Grenzen,
welche die Menschen voneinander trennen;
sende uns den Frieden Deines göttlichen Geistes,
und vereinige uns alle in Deinem vollkommenen Sein.
Amen
Musik Violine und Saxophon
Birgit.Janetzky
Nachruf Tagesspiegel, Berlin
NachrufeJan-Jürgen Jenrich (Geb. 1959)
Sebastian Rattunde, 31.August 2012, Tagesspiegel, Berlin
Mit wenigen Griffen rückte er das schiefe Sprachbild gerade
Mit ernstem Blick und ganz in Schwarz gekleidet legt die junge Schriftstellerin das letzte Manuskriptblatt beiseite. Eine knappe halbe Stunde hat sie aus ihrem neuen Roman gelesen, und jetzt spricht die Jury. Jedes Jahr im Sommer versammelt sich ein Literaturgericht im österreichischen Klagenfurt, um die Preise des Bachmann- Wettbewerbs für deutschsprachige Literatur zu vergeben. Die Juroren gelten als unverblümt und nicht gerade zimperlich.
Ihr Urteil: ?Elegant und souverän gemacht.? ?Äußerst packend und abgründig.? ?Die Sprache ist absolut durchgearbeitet, die Sätze haben die Aura des Perfekten.? Die perfekten Sätze kannte Jan Jenrich bis ins Detail.
Als Lektor der Autorin hatte er sie in den letzten Monaten einzeln unter die Lupe genommen, wenn nötig umgebaut und mitgeformt. Wenn eine Metapher nicht stimmte, rückte er mit wenigen Griffen das schiefe Sprachbild gerade. ?Er schliff auch an einem sehr guten Text, bis er noch klarer funkelte?, sagt der Verleger.
Die Leidenschaft und das Gefühl für Sprache hatte Jan seit Kindertagen. Andere spielten Fußball, er las. Der Vater, ein Lokalredakteur aus dem Süddeutschen, nannte seine drei Söhne: Jörg-Jochen, Jens-Jörn, Jan-Jürgen.
Nach ein paar Semestern Psychologie in Freiburg zog es Jan in die große Stadt, weit weg von der badischen Biederkeit. An der Freien Universität wollte er studieren, zuerst Medizin, dann viele Jahre Germanistik und Philosophie.
?Ich sehe gar nicht ein, mit dem Studieren aufzuhören, solange die Gesellschaft mir erlaubt, genau das zu tun, was mir liegt, nämlich lesen?, so sprach er. Doch nach 32 Semestern war die Geduld der Gesellschaft zu Ende. Jan, längst Germanist, wenn auch ohne Schein, schrieb in wenigen Wochen eine Magisterarbeit über das Spätwerk von Arno Schmidt. Sein Professor gab ihm nach der mündlichen Prüfung nicht nur eine Eins, sondern auch ein wehmütiges Kompliment mit auf den Weg: Er fürchte, in den nun anbrechenden Zeiten des straffen Bachelor-Studiums werde er kaum wieder ein so interessantes Gespräch mit einem Absolventen führen können.
Ein Berufseinsteiger mit exzellentem Abschluss, 46 Lebensjahren und einer kenntnisreichen Leidenschaft fürs Literarische. Bisher hatte Jan sein Auskommen mit Studentenjobs gefunden, als technischer Redakteur hatte er Gebrauchsanweisungen geschrieben, als Putzmann im russischen Reisebüro ?Intourist? am Olivaer Platz gearbeitet. Im November 1989 hatte er dort die Nacht des Mauerfalls mit viel Wodka im Kreise von KGB-Agenten erlebt. Ein Job war ihm zur Herzensangelegenheit geworden: Er passte auf die Kinder von Freunden auf. Babysitting konnte man das eigentlich nicht nennen, denn zu klein durften die Kinder nicht sein. Jan legte Wert darauf, sich mit ihnen unterhalten zu können. Vom Aufpasser zum Hauslehrer, Mentor und Freund; seinen ersten Schützling begleitete er fast zwanzig Jahre.
Germanisten ahnen oft nicht, dass Bücher auch eine Ware sind, die verkauft werden muss. Der bescheidene Jan Jenrich, der in seinem Leben niemals darüber nachgedacht hatte, wie er aus einer Situation Profit schlagen konnte, war ein begnadeter Verkäufer. Als Kneipenmensch mit einem großen Kreis an Freunden und Bekannten war es ihm gelungen, ein Volontariat bei einem kleinen Berliner Verlag zu bekommen. Selbstverständlich wollte er ins Lektorat, mit Texten arbeiten. Aber in einem kleinen Verlag machen alle alles, und wenn Jan nach einer Lesung oder auf einer Messe am Büchertisch stand und von seinen Autoren und ihren Werken erzählte, dann leuchteten die Augen und die Kasse klingelte. Sein Enthusiasmus steckte an, wenn er ein Buch gut fand, dann fand er es großartig.
Nach dem Volontariat arbeitete er als freier Lektor weiter. Für seine Freunde blieb er auch jetzt, mit etwas mehr Geld und deutlich weniger Zeit, derselbe warmherzige und kluge Mensch. Aber ein paar Veränderungen fielen doch auf. Der stoische Handyverweigerer, der sich immer gegen diese ?elektronischen Fußfesseln? gewehrt hatte, besaß neuerdings einen Facebook-Account. So konnte er mit den Kollegen in Kontakt bleiben und immer sehen, was los war im Literaturbetrieb. Jan blühte auf, er wurde gebraucht, er war angekommen. Er freute sich auf Reisen, die ihm früher nicht möglich waren, machte Pläne.
Der jungen Schriftstellerin Lisa Kränzler fällt es schwer, sich an diesem sonnigen Donnerstagmorgen in ein Kärntner Fernsehstudio zu setzen und ihren Text vorzulesen. Aber sie ist sich sicher: Ihr Lektor hätte es so gewollt.
Er war in der Nacht vor der Lesung gestorben, schlafend in seinem Klagenfurter Hotelzimmer. Es hatte keine Anzeichen gegeben, keine Krankheit, von der jemand etwas geahnt hätte. Über den Preis, den seine Autorin gewann , wäre er sehr glücklich gewesen, selbstverständlich. Es war auch sein Preis. Sebastian Rattunde
3 Monate 12 Tage
Na Jan, Du bist nicht dort, bei uns bist Du immer hier, heute habe ich einwenig in dem Buch Wittgensteins Neffe gelesen, da wären wir schon beim Thema, naturgemäß hast Du die tollen Passagen so herrlich zitieren können, Christoph meinte vorhin auch, wir denken ja immerzu an Jan, er hat das Spinnewipp Buch durch und braucht Deinen Humor, die diebische Freude über manche Wendungen, kannst Du nicht einfach eine Weile wieder zurückkehren? Astrid19.10.2012
Jonathan sagt: "Nan dot. Nan nei Kita. Mama Papa daudas. Leo daudas."(Jan tot. Jan kommt nicht mehr zur Kita. Mama Papa traurig. Leo traurig).
26.11.2012
Nur ein paar Schritte durch den Kiez heute, Erledigungen ... Von der Kita den Mehringdamm runter auf die Gneisenaustraße. Kita - Barbie Bar - Rauschgold - Drama - Mehringhof. Jeden Moment bist Du bei uns, denn wir gehen auf Deinen Wegen weiter. CorinnaAusflug nächsten Samstag
Kapielsky ohne Dich! Wir machen weiter mit der Literatur, zur der Lesung wären wir bestimmt gemeinsam gegangen, immernoch "das wäre was für Jan!", rufen wir Dich eben hier an.Astrid
01.10.2013
Heute, endlich, waren wir bei Dir und Deinem Baum. Quirlig und umtriebig wie Du warst, ist diese Stille so ungewohnt. Leonhard hat Dir mit dem Playmobil Kaffeekännchen einen kleinen Kaffee in die Erde gegossen und Jonathan hat mit einem Stock nach dem Maulwurf gegraben, der sich gerade mit Dir über Nabokov unterhalten hat.
Die Eltern ... standen dabei und schnieften.
Hier ist nun Dein Baum. Aber Du begegnest uns jeden Tag neu in unserer Erinnerung.
Dein Leonhard, Jonathan, Schlamper & Corinna
Jetzt endlich Beckett
Lieber Jan,ja Du hast recht gehabt Murphy, Molloy und Malone - Beckett ist genial, nun habe ich diese Texte begonnen. Du bist immer an unserer Seite, ... wie so oft können wir Dich mit einem euphorischen Literatur-Vortrag noch HÖREN.
27.05.2014 Astrid und Christoph
Our Time is Running
Ja, 2 Jahre schon.Du bist immer dabei, ein Bild in meiner Tasche, oder bei Christoph auf dem Küchentisch, wir tauschen es ab und an, Standort: Hin nach Weissensee - zurück in den Wedding, und wieder retour.
Dein Kiez verändert sich schnell, unlängst liefen wir durch die Malplaquetstr., dort sind jetzt Touristenführungen, unsere gemeinsame Triftstr. hat zur Zeit eine Mama, sie bietet Küche für Ramadan-Bürger und Tag-Esser, das große Schild auf der Straße ist 2 sprachig, Eurogida ist größer geworden, viele Bewohner der Str. ziehen fort, die Frau aus unserer Trift.-6 mit der Hochfrisur fährt noch auf dem Fahrrad durch den Kiez. Karstadt ist existent, Bergruen als Eigentümer out, jetzt mit Weltbild Buchhandlung Parterre, und der türkische Bäcker an der Ecke, hat in 3ter Generation den Laden vor einiger Zeit wieder zurückgekauft, konstant ist Herr Habibi, er lacht, wenn er uns trift, 4 libanesische Pralinen in seinem Gemüseladen sind teuer, aber die Rosenblätter sind echt, sie kommen aus dem Libanon, hier ist der echte Libanon zu Hause, ich hüte die Süßigkeit wie einen Schatz.
Wollen wir zu Kafka? Ab Morgen, nicht nur Klagenfurt auch
im Brechthaus ist Literatur los, gar nicht weit, geht es jetzt zur Sache, dass wollen die Herren dort klären
..Es geht dabei vor allem um das Rätsel, warum wir ihn, jenseits aller Klischees und trotz der historischen und kulturellen Entfernung, noch immer als Zeitgenossen empfinden. Worin genau besteht Kafkas Modernität und Aktualität, und warum scheinen seine Werke langsamer zu altern als die anderer Autoren seiner Zeit?...
2 Jahre sind schnell durchgelaufen, eine lange Zeit doch!
Du bist immer an unserer Seite.
Astrid + Christoph
24.03.15
Ja, immernoch...das ist was für Jan,..das wüßte er bestimmt, ich brauche einen Lektor,...Schade.., ein KInderspiel für Dich.AStrid + Christoph
3 Jahre ohne Dich
Jonathan schaut in den Nachthimmel und sagt ... "Der ganz helle Stern da oben, das ist Jans Stern, oder?"Das Gefühl des Verlustes ist unauslöschbar, aber wir suchen unseren Trost am Abendhimmel...
Heute ist der Geburtstag von Schlamper, Dein Todestag naht und kürzlich erst fielen uns bisher unentdeckte Fotos eines Geburtstages vor vier Jahren in die Hände. Schau mal, da ist Jan ... immer warst Du dabei und bist es noch.
Dein Leonhard, Jonathan, Corinna und Schlamper
01.07.2015
05.07.2016
4 Jahre schon.Du bleibst unvergessen - in unserem Gedanken und Erinnerungen.
Dein Leonhard, Jonathan, Corinna & Schlamper
10-11-17
Jan, ich rechne gerne, vorwärts, rückwärts, die Zeit kann man nur im Gedächtnis zurückholen, dann wir der Lauf aufgehoben.Merkwürdig wenn man Bücher einfach eigentlich ohne Grund nochmals liest werden sie immer besser. Du fehlst mir. Die schönen Passagen aus dem rustenschacherschen Laden. Wenn plötzlich diese Situation ganz real wird, kann ich deine Begeisterung richtig spüren, wir würden jetzt lachen, Du würdest ganze Passagen vortragen und das wäre der Anfang eines dieser brillianten und witzigen Abende, ohne die Sorgen und Nöte unserer Realitäten.
Astrid